- Die Puppenmutter aus Breitenbach
Zwischen Großem Galtenberg und Berglsteiner See im Alpbachtal lässt sich der Alltag wunderbar abschütteln. Wer will, findet hier Menschen mit ganz speziellen Ideen. Traudl Entner zum Beispiel. Sie erweckt altes und kaputtes Spielzeug zu neuem Leben.
"Auf, auf und auf! Lasst uns von Tonne zu Tonne eilen, wir wollen dem Müll eine Abfuhr erteilen", heißt es in Heinz Erhardts "Chor der Müllabfuhr". Aber was ist eigentlich Müll? Traudl Entner hat zu diesem Thema eine ganz eigene Ansicht: "Die Leute werfen alles achtlos weg. Dinge haben keine Bedeutung mehr. Sie werden nur kurz benutzt und wenn sie kaputt gehen, ersetzt man sie einfach durch etwas Neues", stellt die 67-Jährige fest. Entner weiß, wovon sie redet. Die letzten zehn Jahre bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie in Breitenbach als Abfall- und Umweltberaterin. "Was die Mülltrennung angeht, waren wir Pioniere", erklärt sie resolut. Die 3.300-Seelengemeinde am Inn ging früh bewusst mit dem Unrat der Wegwerfgesellschaft um, und der Tourist dankt es, indem er gerne kommt und die Seele baumeln lässt - besonders gern auf dem Aspenhof von Traudl Entner: Denn hier sind die Hügel grün und die Tiere glücklich.
Puppen direkt vom Schuttabladeplatz der Zeit
Ein echter Saustall war das Museum von Traudl Entner früher: Hier fühlte sich das Borstenvieh in den Sommermonaten wohl. Heute befindet sich in diesem Raum das Sissizimmer. Wie die anderen ihrer mehr oder weniger hochherrschaftlichen Puppenstuben, besteht auch diese tatsächlich aus Sperrmüll. Geschirr und Keramik wurden direkt aus dem Glas- bzw. Bauschuttcontainer sortiert. Die Miniatur der jungen Kaiserin entstand 1960, drei Jahre nach dem Dreh des dritten Sissi-Films mit Romy Schneider. "Die Puppe war früher sicher keine Prinzessin, sondern ein einfaches, aber schönes Spielzeug", erzählt Traudl Entner. Liebevoll hat sie diesen "Abfall" restauriert, ihn mit Kunsthaarzöpfen versehen und in ein Kostüm gesteckt, das sie aus einem alten Hochzeitskleid nähte. Die Stube selbst ist bis ins Detail liebevoll aus Fundstücken hergestellt.
Der Schuttabladeplatz der Zeit spült Vieles an. "Man muss nur etwas damit anfangen können", gesteht die Puppenmutter. Traudl Entner ist keine Sammlerin im eigentlichen Sinn, denn sie interessiert sich nicht für den Originalzustand. "Ich will etwas aus dem machen, was Andere für wertlos halten."
Mit dieser bewahrenden Haltung ist sie im Laufe ihres Lebens durchaus angeeckt: "Meine Mutter hatte dafür kein Verständnis. Sie meinte, ich solle den Abfall im Mülleimer lassen und etwas Vernünftiges machen." Schließlich ist der Alpbachtaler bodenständig und fleißig. Fleißig ist Traudl Entner auch, aber sie weiß, was sie will: In der von Männern dominierten österreichischen Abfallwirtschaft setzte sie erfolgreich weibliche Signale, trennte die menschlichen Hinterlassenschaften effektiver als ihre Kollegen. Ihr Beruf führte konsequenterweise zur ständig wachsenden "Spielzeug aus Müll"-Sammlung auf dem Aspenhof.
Tschernobyl und die persönlichen Folgen
Die Atomkatastrophe in der Ukraine beschleunigte indirekt Traudl Entners Traum vom etwas anderen Puppenmuseum. Denn die Caritas holte in den frühen 90er Jahren Kinder aus dem Strahlengebiet um Tschernobyl zur Erholung ins Alpbachtal. Gemeinsam mit ihrer Freundin und Kollegin Maria nahm sie sich der Kleinen an - und entdeckte dabei, dass es nicht nur an Essen, Kleidung und gesunder Natur fehlte: "Die Kinder brachten kaputtes Spielzeug mit, das ich dann reparierte. Das war oft das Wichtigste", sagt Traudl Entner. Eine Puppe ist ein lebenswichtiger Bezugspunkt; sie liefert in schlimmen Situationen Trost. Die Tschernobyl-Kids kamen aber auch wegen der Tiere auf den Aspenhof. Entner bezeichnet sich als "Ziegennärrin" und erzählt, dass ihr kleiner Streichelzoo beruhigend auf die Jungen und Mädchen wirkte, die an struktureller Traumatisierung litten, wie der Psychologe attestierte. Traudl Entner hielt ihr Umfeld als heilsames Gesamterlebnis dagegen.
Kleiderhaken und Vorhangstoff
Würden die Spielzeuge, die in Breitenbach zu sehen sind, leben, sie würden ebenfalls von tiefen Verletzungen berichten - das steht für die Puppenmutter fest, die auch Puppenärztin ist. Oft sind diese Wunden auch im Material sichtbar: Das Porzellan oder das Celluloid brüchig, das Plastik stumpf. Statt den Haaren zeugen Löcher von der Zerstörung, Gliedmaßen und Augen fehlen, oft muss auch ein neuer Kopf transplantiert werden - wo die Medizin beim Menschen an ihre Grenzen stößt, fängt die Arbeit von Traudl Entner erst an. Ihre Puppen sind nach der Restauration natürlich nicht mehr zum Spielen da, aber zum Anschauen und Verweilen schon. Denn das jeweilige Ambiente wird genauso liebevoll hergestellt wie Sissis Hofdame oder die Familie in der herzigen Puppenküche.
Kleiderhaken verwandelt Entner in stilechte Beine für einen Biedermeierschrank, Küchenfliesen kommen aus dem Bauschutt und alter Vorhangstoff wird zu einem gediegenen Kleid. Traudl Entner führt zusammen, was zumindest jetzt wirklich zusammengehört - und das macht sie so gut, dass ihre Gäste immer wieder kommen. Manche bringen sogar was mit: "Ein deutscher Urlauber hat sich von mir eine wirklich alte Puppe reparieren lassen."
Andere überlassen ihr ein wenig Müll, und aus dem zaubert sie ein neues Diorama. Eines wie die Bärenhochzeit, bei der die "Wildegger Herzbuben" aufspielen. Die sind zwar genauso rundlich wie ihre menschlichen, leicht anders geschriebenen Vorbilder, aber mit Knopfaugen, Fell und Mini-Trachten viel knuffiger. Auch der Musikantenstadl hat seinen Platz im Stall von Breitenbach. Eine Führung durch das Puppenmuseum lohnt sich auf jeden Fall - aber für viele darf es gern auch ein zweiter oder dritter Besuch sein. Denn die Spielsachen präsentieren sich nicht nur in neuem Glanz, sie strahlen auch die Herzlichkeit von Traudl Entner aus. Und der Stoff für spannende Geschichten geht ihr genauso wenig aus wie der für Brautkleider, Schürzen oder Gardinen.
(Text und Bild: IK Media, Schwabach; Redaktion: Peter Kensok)