Beginne mit dem Wort, da es schon am Anfang war.
Die Völkerkunde, Ethnologie oder Anthropologie hat viele Begriffe wie den des „Kulturkreises“ geprägt und uns damit zu Orientierung und Handlungsfähigkeit geführt. Manchmal war sie ein bisschen hochnäsig – sowohl gegenüber der jeweils eigenen als auch gegenüber den anderen Kulturen. Aber es lohnt sich, das Vokabular der Ethnologen an die eigene Kultur anzulegen. Dafür steht diese Rubrik: Gibt es, was wir auf unseren Reisen bei anderen wahrnehmen, in was auch immer für einer Entsprechung auch bei uns?
„Begriff(en)“ startet mit einem kleinen Lexikon, das wachsen darf und sich laufend erweitern wird. Klicken Sie einfach auf den Begriff in der linken Spalte, und Sie werden zu der Erklärung geführt.
Was ist eigentlich ...?
Amulett
Animismus
Buchu
Couvade
Endogamie
Familienkern
Kalumet
Kernfamilie
Kula-Ring-Tausch
Kulturkreis
Mutterrecht
Scherzbeziehung
Amulett
Das lateinische amuletum („Kraftspender“) hat möglicherweise arabische Wurzeln: hammala bedeutet Tragband. Die magischen Kräfte der Amulette sollen dem Träger vor allem Glück und Schutz bringen oder in Form von Zähnen oder Krallen die Kräfte eines erlegten Tieres zuführen. Amulette kommen auch als Kreuz und Reliquien vor. Die Hand der Fatima ist in anderen Kulturen ein durchgängiges Amulett. Es gibt zudem individualisierte Formen wie die Blutphiole, mit denen Pärchen in bestimmten Jugendgruppen ihre jeweilige Beziehung bestärken.
Animismus
Animismus, aus dem Lateinischen abgeleitet, lässt sich am ehesten mit „Seelenlehre“ übersetzen. Jemand stellt sich dabei nicht nur den Menschen als beseelt vor, sondern schreibt diese Eigenschaft auch Gegenständen, Steinen, Bäumen, Tieren und anderen Naturerscheinungen zu. Damit ist dieses Phänomen nicht nur auf Naturvölker beschränkt: Wer beispielsweise einem Schmuckstück besondere (übernatürliche) Kräfte über den reinen Schmuck- oder Erinnerungswert hinaus zuschreibt, der hat bereits einen guten Zugang zum Animismus. Der Animismus ist damit eine religiöse Weltanschauung, aber im eigentlichen Sinne keine Religion.
Buchu
Buchu ist bei den Buschmännern und Hottentotten das, wofür die westliche Frau die Parfümerien durschstöbern: ein aromatisch duftendes Puder. In Südestafrika stellen die Einheimischen Buchu aus Pflanzenteilen eines aromatischen Strauches her und füllen es dann in Büchsen aus Schildkrötenpanzer. Auch Puderpinselchen gibt es, hergestellt zum Beispiel aus einem weichen Schakalschwanz.
Couvade
Abgeleitet aus dem Französischen „couver“ (brüten), steht Couvade für ein Phänomen in Südamerika, Ozeanien, Südostasien, Südindien und sogar in Südwesteuropa: Auch wenn er nicht zwangsweise direkt bei der Geburt eines Kindes dabei gewesen sein muss, verhält sich der Ehemann danach wie die Wöchnerin. Er gibt sich gleichermaßen erschöpft, stöhnt auffällig, windet sich vor Geburtsschmerz - und bekommt von Angehörigen, Freunden und Nachbarn die gleiche Zuwendung wie seine Frau: Beide sind schließlich Eltern geworden und werden auch die weitere Verantwortung für das Kind teilen. Die traditionelle Couvade erweitert damit den sogenannten Familienkern (Mutter und Kind) als "Geburts-Einheit" um den Vater als weiteren Angehörigen der Kernfamilie. - In der westlichen Welt wurde erst nach dem Zweiten Weltkrieg „normal“, dass Väter mit im Geburtszimmer oder Kreißsaal sind. Viele nehmen danach eine Auszeit vom Beruf und unterstützen ihre Frauen. Auch Erziehungsurlaub ist möglich, selbst wenn aus Karrieregründen noch immer eher darauf verzichtet wird. Ein bisschen Couvade gibt es also auch hier.
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Endogamie
Der Begriff setzt sich aus den griechischen Worten für Innen (= endo) und Heirat (= gamos) zusammen. Das Paar heiratet innerhalb der Gruppe, die sich als soziale Einheit versteht. Damit findet man die Endogamie in nahezu allen Kulturen: Manche heiraten nur innerhalb des eigenen Dorfes, der eigenen Kaste oder der Religionsgruppe, in die sie hineingeboren wurden. Andere bestimmen ihre soziale Einheit mehr oder weniger bewusst über den Bildungsstand, ein Hobby, die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe, zu einer Firma oder zu einem Verein.
Familienkern
Während zur Kernfamilie der Vater dazu gehört, ist der eigentliche Familienkern die Einheit aus Mutter und Kind(ern), die während der Schwangerschaft schon untrennbar das Überleben der Nachkommen sichert. Diese biologische Einheit bleibt idealerweise nach der Geburt erhalten - zumindest in Kulturen, in denen die Säuglinge allein durch das Stillen überleben würden. Der Vater ist in diesem Modell der Natur das verzichtbarere Element der Kernfamilie. Daraus ergibt sich jedoch nicht ein "natürliches" Recht, sich der Verantwortung für die Nachkommen zu entziehen.
Kalumet
Das französische Wort Chalumet bezeichnet die Pfeifenspitze. Die Lakota-Indianer Nordamerikas nennen die Pfeife Chanunpa Wakan. Für sie ist die Friedens- oder Heilige Pfeife ein Symbol für Streitschlichtung, Gastfreundschaft und den friedlichen Umgang miteinander. Wie beim weißen Rauch bei der Papstwahl steht der Rauch des Kalumet für gemeinsam getroffene Entscheidungen und geschlossene Verträge. Eben weil die Chanunpa Wakan ein so bedeutendes Symbol ist, gilt es bis heute als schwere Beleidigung, wenn ein Besucher sie ablehnt.
Kernfamilie
Die Kernfamilie ist die kleinste Einheit jeder Gesellschaftsordnung und besteht aus Mutter, Vater und deren gemeinsamen Kindern. Sie ist auch eine biologische Einheit, völkerkundlich gesehen eine universelle Einrichtung zur wirtschaftlichen Absicherung der Nachkommen und zur Sicherung der jeweiligen Kultur. Wie die einzelnen Kulturen mit der Kernfamilie umgehen, sie erweitern (Großfamilie) oder reduzieren (Alleinerziehende), dafür gibt es viele Möglichkeiten. Völkerkundlich tragen sie auch andere Namen.
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Kula-Ring-Tausch
Die Trobriand-Inseln Melanesiens (westlicher Pazifik) sind etwa kreisförmig angeordnet. Getauscht werden im Uhrzeigersinn Halsketten aus kleinen roten Muschelplättchen (soulava) gegen Armreife aus weißen Muscheln (mwali). Diese Geschenke werden nahezu sakral „aufgeladen“ durch die Geschichten der Vorbesitzer. Jedes Kula-Geschenk muss nach einer angemessenen Zeit gleichwertig, wenn auch in anderer Gestalt, also mwali gehen soulava beantwortet werden und festigt damit über Generationen hinweg die Beziehungen zwischen den Schenkenden. Auch in westlichen Kulturen gibt es „Kula“. So ist der „Generationenvertrag“ eine Form von Kula-Ring-Tausch: Eltern geben, was sie selbst einst erhielten, an ihre Kinder weiter und revanchieren sich mit „Geschenken“ in anderer Gestalt bei ihren eigenen Eltern. Auch auf Trobriand kann es sein, dass das einstmals fortgegebene Geschenk zu Lebzeiten des Gebers nicht mehr zu ihm zurückkommt. Er hat jedoch etwas erhalten, das diesem Geschenk entspricht. Die Ethnologen nennen das die ungleichgestaltige Gegenseitigkeit: heteromorphe Reziprozität. Gleich gegen Gleich heißt gleichgestaltige Gegenseitigkeit oder homöomorphe Reziprozität.
Kulturkreis
Der Begriff Kulturkreis wurde 1898 von dem deutschen Völkerkundler Leo Frobenius eingeführt und bezeichnete ein großflächiges Siedlungsgebiet mit relativ einheitlicher Kultur. Dazu gehörten religiöse Vorstellungen, die soziale und politische Organisation, Wirtschaftsformen, Gerätschaften, Waffen und vieles mehr. Die Völkerkundler versuchten über die Kulturkreislehre die Verbreitung der Kulturen zu entschlüsseln und sogar eine Ur-Kultur zu identifizieren. Während der Begriff Kulturkreis im allgemeinen Sprachgebrauch noch genutzt wird, hat sich die deutsche Ethnologie inzwischen davon verabschiedet und zieht den neutraleren Begriff Kulturraum vor.
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Kulturkreis
Mutterrecht
Scherzbeziehung
Mutterrecht
Der Begriff Mutterrecht geht auf Johann Jakob Bachofen (1815-1887) zurück. Sein Buch „Das Mutterrecht“ (1861) inspriert bis heute Theorien zur Herrschaft der Frauen. In mutterrechtlichen Kulturen war, so Bachofen, die Mutter das Oberhaupt der Familie. Die Abstammung wurde über die Linie der Mutter ermittelt. Das macht durchaus Sinn, denn die Herkunft eines Kindes war vor den Vaterschaftstests nur über die Zugehörigkeit zur Mutter eindeutig. Ob deswegen in den Kulturen wirklich die Frauen herrschten, ist umstritten, denn anstelle des Vaters als Oberhaupt der Familie war die männliche Autorität zum Beispiel bei den Trobriand-Insulanern Melanesiens der Bruder der Mutter.
Scherzbeziehung
In vielen Kulturen besteht zwischen Verwandten unterschiedlicher Generationen eine sogenannte Scherzbeziehung: Großeltern und Enkel mildern dadurch häufig die Strenge der Elterngeneration ab, die der eigentlichen und aktiven Kulturvermittler. Großeltern und Enkel benennen sich dabei manchmal mit gleichen Kosenamen. Zwischen Verschwägerten besteht häufig eine Scherzbeziehung, die damit das gesellschaftlich gerade noch akzeptable Flirten miteinander zwar erlaubt, aber eine ernsthafte sexuelle Beziehung ausschließt.
Diese Rubrik wird laufend erweitert, um Begriffe wie Bogenkultur, Bon, Buschwesen, Häuptlingstum, Kula, Lavalava, Lineage, Magie, Trobriand u.v.m.