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Gern gesehen

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Andere Länder ...

Eine Frau aus Brasilien,
von den Fußknöcheln bis zum Hals in ihr Handtuch eingewickelt, schaut irritiert auf, als ein Mann die Sauna betritt: »Bei uns in Brasilien gibt es eigentlich keine gemischten Saunas.« »Seltsam«, antwortet der, »und ich dachte, ganz Brasilien sei eine gemischte Sauna.«

Randnotizen

Nordsee - echt stark
Vor, auf und hinterm Deich wurden an der Nordsee in den letzten Jahren viele Maßnahmen zum Küstenschutz getroffen. Interessante Einblicke in die Naturphänomene, in den Deichbau und aktuelle Küstenschutzprojekte erhalten Reisende in Büsum und Husum, auf Pellworm, Sylt und Nordstrand.


Türkei - Leser reisen nach Kappadokien

An einem Freitag im Oktober kommen wir in Antalya an. Ich bin gespannt auf - alles. Ja, wirklich alles. Denn obwohl ich schon als Kind mit Gastarbeitern aus der Türkei befreundet war, war ich noch nie selbst in der Türkei. Jetzt will ich dieses große Land wenigstens ein bisschen kennenlernen. Und ich will wissen, was es mit den berühmten Leserreisen auf sich hat: »5-Sterne-Bildungsrundreise in der Türkei - Auf den Spuren der Apostel durch Kappadokien«. Und das Ganze ab (!) 129 Euro.


Selbst in Deutschland könnte ich für den Preis nicht leben. Schon gar nicht mit Flug, Hotel, Essen, Trinken und einen Reiseleiter, der sich wie ein Butler um alles kümmert. Das »ab« hat sich gleich bei der Buchung erledigt. 339 Euro kamen sofort dazu. Doch selbst für 478 Euro macht man keinen 5-Sterne-Urlaub in einem Einzelzimmer.


Die neue Moschee in Manavgat.

Die neue Moschee in Manavgat ...

Kleine Schäden werden sofort repariert; die Lampe hat es beim Aufsetzen hinter einer Bodenwelle erwischt.

... innen wie außen ein Schmuckstück.

 

Flughafen Antalya

Ich wurde noch nie von Beamten einer Einreisekontrolle mit einer Rose empfangen! Lächeln kam schon mal vor, außer in den USA. Oder damals an der Grenze zwischen Deutschland-West und Deutschland-Ost. Selbst meine reisegestählten schwäbischen Mitreisenden sind ganz bewegt.

Unsere Koffer werden wie am Fließband in den Reisebus geladen. Von solchen Bussen gibt es eine ganze Armada. Groß, strahlend weiß und heute vor allem von einem deutschen Reisedienst. Mein Bus ist voller Schwaben, die im Oktober noch die Reste ihres diesjährigen Reisebudgets unterbringen möchten. Das wird unserem Reiseleiter zum Verhängnis werden, spätestens wenn wir in Kappadokien die Ballonfahrten buchen sollen.

Schon auf der Fahrt zum Hotel bietet er eine Menge Sonderangebote und Veranstaltungen an, die wir pauschal und mit Rabatt buchen dürfen. Da greift jeder Baden-Württemberger schon genetisch bedingt sofort zu. Kurz nach dem ersten Begrüßungscocktail im Hotel war ich auf diese Weise 228 weitere Euro aus meinem Budget los. Dafür war ich grundversorgt mit »Tanz der Derwische«, »Flatrate-Trinken beim Volkstanz«, Museumseintritte und Besuch der Moscheen ...


Ausflugsboot an der Türkischen Riviera.

Ausflugsboot an der Türkischen Riviera.

Frischer Granatapfelsaft am Strand.

Frischer Granatapfelsaft am Strand.

 

Da auch vorher alles irgendwie schon nach »pauschal« geklungen hatte, werde ich ein bisschen vorsichtig. Ich wohne erst seit 20 Jahren in Baden-Württemberg, aber irgendwie färbt das ab. Meine Mitreisenden und ich nicken uns kaum merklich, dafür aber um so verschworener zu.

Am nächsten Morgen geht es früh los. »Gün eden!«, lernen wir im Bus. Das ist Türkisch und steht für »Guten Tag!« Unser Reiseleiter hat vorsichtshalber die Tour umgestellt. Damit bringt er uns in die Poleposition gegenüber allen seinen Kollegen mit der gleichen Kappadokien-Reise, deren Gäste aus Hamburg, München und anderen deutschen Städten angereist waren. Keiner der Schwaben beschwert sich. Irgendwie klingt die Planänderung nach Bonus.

Wir fahren zuerst nach Manavgat an der Türkischen Riviera. Ich wundere mich ein bisschen über die vielen kyrillischen Schriftzeichen. Russisch ist so etwas wie die vierte Sprache in der Türkei - neben Deutsch, Englisch und Türkisch. Wir fahren durch die Stadt und Region Belek, früher Sumpf, heute Touristenzentrum mit 57 Sterne-Hotels, 17 Kilometer Strand, 200 Tennisplätzen, 50 Fußballplätzen und - immerhin - noch einigen Baumwollfeldern, die abzuernten Wanderarbeiter aus dem ganzen Land in die Region kommen.

Belek hat die besten Tomaten der ganzen Türkei. Leider landen die vor allem in Istanbul oder im Ausland. Geld regiert auch hier die Welt, wobei unser Reiseleiter weiterhin von der traditionellen Gastfreundschaft schwärmt. Ich ahne, dass das eine mit dem anderen vereinbar sein wird und wir als Schwaben mindestens gegen eines dieser Gebote verstoßen werden.

Wir besuchen die moderne Moschee in Manavgat, sind Dank unseres Reiseleiters mit einem der ersten Busse dort. Auch auf der weiteren Fahrt werden wir immer zu den Ersten gehören. Dafür stehen wir ein bisschen früher auf als der Rest der Reisenden aus Deutschland, die ansonsten mit der Präzision eines schweizer Uhrwerks versorgt werden. Was die Schweiz kann, können wir Schwaben schon lange. Hochdeutsch vielleicht nicht, aber »pünktlich«.

Auf unserem Ausflugsboot geht es schon bald recht lustig zu. Wir Touristen kommen einander ein bisschen näher, reichen auch den Gästen aus den gegnerischen Bussen Bierflaschen, winken den Booten am Ufer des Flusses Manavgat zu, dessen Mündung wir schon bald vor uns sehen.

Wir bekommen Auslauf. Manche baden. Die Einheimischen wundern sich - oder auch nicht. Am Strand werden Granatäpfel ausgepresst. Zwei Euro für einen Becher mit ca. 100 Millilitern, das wird der Standardpreis die nächsten Tage sein, je nach Raststätte, Touristenattraktion, Tageszeit und Reife der Früchte ist der Becher ein bisschen weniger halb voll.

Es gibt ein paar armselige Hütten am Strand und Grillstellen, an denen eifriges Personal von den angelandeten Ausflugsbooten das Mittagessen vorbereiten: Hühnchen, Lamm und Fisch. Es ist reichlich da. Wir werden richtig verwöhnt.

Ein anderes Ausflugssegelboot schert in die Bucht stromaufwärts ein. Es ist das reinste Partyboot mit Musik wie vom Ballermann und gut gelaunt klingenden russischem Gegröle. Auf den »deutschen« Booten geht es im Vergleich dazu ruhig zu. Bis zur Rückkehr an unseren Bus haben wir uns den ersten kleinen Sonnenbrand zugezogen. Wer will, der hat neben dem Sonnenbrand bereits beim Verlassen des Bootes ein Foto auf Papier. Die eifrigen Bordpaparazzis haben es wirklich gut gemeint. Leider winken die meisten Deutschen ab. Sie sind perfekt digital, knipsen, was auch immer ihnen vor die Linse kommt und haben für einen Bruchteil des Papierfotopreises ein Vielfaches an Schnappschüssen.

Wer klebt denn noch Papierfotos?

Die Kollegen scheinen trotzdem in der Gewinnzone zu sein. Was etwas in der Türkei tatsächlich kostet, werden wir auf der Reise erst später erfahren. Unser Leben im Bus und in den Hotels hat mit dem Rest dieses Landes wenig zu tun. Alle Preise wirken für uns wie in Deutschland, und sie scheinen erheblich vom Standard der Einheimischen abzuweichen. Aber wenn etwas soviel kostet wie bei uns, dann entscheiden wir auch nach Kriterien wie bei uns. Es fällt uns leicht, die Börsen geschlossen zu halten.


Das Mevlana-Museum in Konya ist eines der wichtigsten religiösen Zentren der Türkei.

Das Mevlana-Museum in Konya ist eines der wichtigsten religiösen Zentren.

Tausende pilgern zum Gründer des Derwisch-Ordens.

Tausende pilgern zum Gründer des Derwisch-Ordens.

 

»Gün eden!« - Am nächsten Morgen geht es endlich auf den Spuren des Apostel Paulus nach Kappadokien. Wir durchqueren das Taurusgebirge und erfahren, dass das durchschnittliche Gehalt in der Türkei knapp 400 Euro beträgt. Der Liter Sprit kostet umgerechnet etwa sechs Euro. Damit kommt man mit den Autos hier auch nicht weiter als in Sindelfingen.

Nach dem Taurusgebirge verändert sich die Landschaft ziemlich rasch. Wir sind ganz vorne in der weißen Buskarawane, die nahezu synchron an Lokalen und Restaurants zum Wasserlassen wie zum Essenfassen anhält. Irgendwer muss präzise ausgerechnet haben, wie weit man mit Deutschen im Alter von 60 plus reisen kann, bevor die Blasen nachgeben.

In Konya besuchen wir die Sultan Selim Moschee aus dem 16. Jahrhundert und die Grabstädte des weltoffenen Mystikers Dschalal ad-Din Rumi (1207–1273), das Mevlana-Museum. Auf Mevlana und seinen Orden gehen die Derwisch-Tänze zurück, die wir noch kennen lernen werden.

Hinter Konya beginnt die Kornkammer der Türkei. Weiter als das Auge reicht nichts als Felder, Felder und nochmals Felder. Es ist unglaublich - und irgendwann ist das nicht einmal mehr für Digitalkameras interessant.

Zur Zeit der Karawanen, die durch die zentralanatolische Provinz Aksaray zogen, war es hier wahrscheinlich abwechslungsreicher. Großmaschinen müssen heute Hunderte von Quadratkilometern abernten und stauben das ganze Land ein.

Wir erreichen Kappadokien - das »Land der schönen Pferde«. Nach der langen Anreise ist im SuHan Cappadocia Hotel in Avanos bei Nevsehir für uns und heute Schluss. Die Stadt hat ein mildes Klima auch im Sommer und ist so etwas wie der Ruhesitz all jener, denen die Hitze in Antalya zu schaffen machen würde. Wir genießen nun zum dritten von etwa 16 mal auf dieser Reise ein umfangreiches Buffet mit einem Querschnitt aus der türkischen Küche.


Ortschaft am Rand von Göreme. Die Höhlen werden teilweise noch genutzt.

Ortschaft am Rand von Göreme. Die Höhlen werden teilweise noch genutzt.

Die »Drei Grazien« gehören zu den auffälligsten Formationen in Göreme.

Die »Drei Grazien« gehören zu den auffälligsten Formationen in Göreme.

 

Es wurde Abend, es wurde Morgen ...

»Gün eden!« - Immerhin drei unserer 40 Busbildungsreisenden haben mit dazu beigetragen, den Himmel über Göreme mit Heißluftballonen vollzuhängen. Wir Schwaben sind stolz auf unsere Quotenballonier, unser Reiseleiter ist es irgendwie nicht. Wir fahren nach dem Frühstück, zu dem auch die Luftreisenden wieder dazustoßen und von ihrem frühmorgendlichen Abenteuer schwärmen, nach Göreme.

Ich genieße die zarten, pastellartigen Schattierungen, die eingefrorenen Dünen, unzählige Höhlenwohnungen und schließlich auch die bemalten Kirchen des Göreme Freilichtmuseums. Alle wurden in den Boden und die Hügel hineingegraben, so dass niemand erkennen konnte, wer darin wohnte und welchen Glauben pflegte. Göreme: »Du siehst mich nicht!« Der Apostel Paulus, dem unsere Reise gewidmet ist, wird von diesen Kapellen kaum etwas gewusst haben. Er war weg, bevor die Buddelei begann.

Abends erleben wir unseren ersten großen Kulturteil: den »Tanz der Derwische« im Kulturzentrum Her Hakkı Saklıdır von Avanos. Es ist still im Saal, bis die Musiker eifrig in ihre Instrumente greifen, blasen oder darauf herumtrommeln. Warum wer wie tanzt, steht im Flyer, der uns am Eingang in die Hand gedrückt wird. Die Anmoderation ist schnell vergessen, als die Derwische auftreten und sich mit dezenten Schritten im Kreis zu bewegen beginnen und sich dann drehen und drehen und drehen. Sie wirken würdevoll, trotz des touristischen Drumherum. Sie scheinen sich nicht darum zu scheren und drehen sich einfach weiter. Heilige Männer, die nie aus dem Takt kommen. Wie der Mond, die Sonne, Tag und Nacht ... Zeit für ein meditatives In-sich-gehen.

Mit dem Restreisebudget kann man nicht wirklich abheben

Was hatte der Reiseleiter vom feindlichen Bus am Eingang gesagt? Von seinen 40 Reisenden haben 35 (!) den Heißluftballon gebucht. Unsere drei Quotenballonier sind dagegen nur noch Portokasse. Wir haben unseren Reiseleiter zutiefst beschämt. - Es bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als sich möglichst schnell auf uns einzustellen. Natürlich hofft er darauf, dass seine Stunde noch kommt. Aber Schwaben im Herbst und mit Restreisebudget?

»Gün eden!« - Heute geht es zunächst nach Çavuşin, einem Dorf mit Höhlenkirchen aus dem 5. Jahrhundert. Als 1963 ein Teil dieser Höhlen nach einem Felsabbruch einstürzte, siedelten auch die Bewohner in sicherere Gebäude um. In vielen Höhlen der Nachbarorte reifen saftige Çavuşin-Zitronen nach, der Rolls-Royce unter den türkischen Zitrusfrüchten. Das besondere Klima in den Höhlen veredelt sie.

Heute stehen noch die Teppichknüpferei in Ürgup, die Feenkamine mit den »Drei Grazien« auf dem Programm plus der »Türkische Abend« in Mustafapaşa.

Die Teppichknüpferei ging so: Einer der Gründer der Knüpferei lebte lange in Deutschland und nutzte dann gemeinsam mit einem Freund Steuervorteile in Ürgup. Sie luden die Bäuerinnen der Umgebung ein, bei ihnen »anständiges Geld« in der Knüpferei zu verdienen. Alles klingt nach Sozialplan und »gender«-gerecht, was auch immer wir hören möchten. Auch die Männer sind mit in die Knüpfereien eingeführt. Zwar knüpfen sie nicht, dafür knöpfen sie sich die Touristen vor ...

Nachdem die Teegläser leer sind und wir die Arbeit an den Knüpfrahmen verstanden haben, werden vor uns zig Teppiche herumgewirbelt, wie die Zugabe, die es gestern nach dem »Tanz der Derwische« nicht hatte geben dürfen. Für jeden ist in jeder Größe etwas dabei: vom Untersetzer bis zum Prachtstück in Seide, um das man eigentlich ein Haus herumbauen müsste. Der Saal ist voller Verkäufer, die uns im Akzent unserer schwäbischen Heimatstädte - von Mannheim und Heidelberg bis Bad Saulgau - jeden beliebigen Teppich erklären könnten, bei dem sich in jahrelanger Arbeit Knoten an Knoten reiht. Die Frauen werden für jeden verkauften Teppich zusätzlich zu ihrem sozialplanfähigen Gehalt nach deutschen Modell einen Bonus bekommen.


Der meditative Tanz der Derwische. Und sie drehen sich doch!

Der meditative Tanz der Derwische. Und sie drehen sich doch!

Die Kapellen aus dem 5. Jahrhundert in Çavuşin wurden erst 1963 aufgegeben.

Die Kapellen aus dem 5. Jahrhundert in Çavuşin wurden erst 1963 aufgegeben.

 

Wer kauft, und das sind wenige, wird weiter nett behandelt. Sehr nett. Die anderen werden eins, zwei, drei zum Souvenirladen und dann auf den Busparkplatz hinauskomplimentiert. Es ist, als hätte es die Teppiche nie gegeben. Uns schwant, dass unser Teppichhändler unsere Reise ordentlich mitgesponsert hat. Er erwartet eine Gegengabe.

Die nächsten Busse hupen bereits und wollen unseren Parkplatz. Die nächsten Gäste bitte ...

Abends gibt es wieder Kultur in Mustafapaşa - das alte Sinassos. Der »Türkische Abend« steht im Zeichen traditioneller Tänze aus allen Regionen der Türkei. Hinzu kommen Raki und Hauswein bis zum »Boden seh'«. Ich folge der Menschenschlange in die hinterste Reihe eines der Gewölbefinger im Kulturzentrum. Hier kann ich einigermaßen gucken und bin weit genug entfernt, um nicht, wie sonst immer, zum Bauchtanz aufgefordert zu werden.

An meiner Stelle erwischt es einen Japaner. Da Japaner immer zu lächeln scheinen, lächelt auch dieser - vor der Aufführung, während der Aufführung und nach der Aufführung. Der ganze Saal ist während des japanisch-türkischen Auftritts hell vom Blitzlichtgewitter der gesamten Sony-, Toshiba- oder Toyotatruppe. Der Japaner wirkt glücklich.

Wir schwanken nach Hauswein und Raki zum Bus; mit Trollinger wäre das nicht passiert.


Karawanserei in Aksaray. Schon zur Zeit der Seldschuken ein beliebter Rastplatz.

Karawanserei in Aksaray. Schon zur Zeit der Seldschuken ein beliebter Rastplatz.

Die unterirdischen Städte wurden erst un den 60er Jahren entdeckt.

Die unterirdischen Städte wurden erst in den 1960er Jahren entdeckt.

 

»Gün eden!« - Inzwischen lasse ich schon das eine oder andere leckere Hauptgericht oder die eine und andere Süßspeise aus. Aber kaum, dass ich mich auf diese Weise akklimatisiert habe, sind wir auch schon wieder zurück auf dem Weg zurück nach Antalya.

Kappadokien gibt es unterirdisch und überirdisch

Vor Konya besuchen wir eine der zahlreichen unterirdischen Städte, die erst in den 60er Jahren entdeckt worden sind. Einige reichen bis zu zehn Stockwerke tief in den Boden. Die Gänge sind teilweise recht eng, und vor manchen Abzweigungen hat es tonnenschwere Steine zum Schutz vor Eindringlingen gegeben.

Eine Mitreisende macht gleich nach dem Eingang wieder kehrt. Ihr ist es egal, dass die unterirdischen Städte vielleicht Tausende von Jahren alt sind. Hochhäuser und Halbhöhenlage am Rand des Stuttgarter Kessels mag sie irgendwie lieber. Bis zur nächsten Wand im Wohnzimmer will sie mehr Abstand als bis zum Monitor ihres Laptops. Sonst, so droht sie überzeugend, wird ihr tierisch schlecht werden.

Bis zum Mokka in der Karawanserei bei Aksaray hat sie sich wieder erholt. Seit der Seldschuken-Zeit (1040-1194) gibt es diese burgenähnlichen Haltestationen entlang der türkischen Seidenstraße. Bis zu drei Übernachtungen und drei freie Mahlzeiten pro Tag standen den Reisenden zu, die ihren Aufenthalt über eine Reisesteuer vorab abgegolten hatten. Auch verletzte Lasttiere konnten ausgetauscht werden. »All-inclusive« gab es also schon damals.

Abends sind wir zurück in Antalya und dort im Hotel Melissa Gardens. Wir sind fast wieder daheim und einigermaßen gebildet, denn das war ja der offizielle Zweck unserer Reise. Als erfahrene Kappadokier dürfen wir daher mitlachen, als unser Reiseleiter von einem Kollegen erzählt. Der wurde gerade am Flughafen von einem ziemlich aufgebrachten deutschen Gast angefahren: »Was geht es den türkischen Staat an, wie oft ich mit meiner Frau schlafe?!« Bei der Einreise hatte der Mann ein englisches Formular bekommen, auf dem er unter »Sex« (Geschlecht) »male« (männlich) hätte ankreuzen müssen ...

»Gün eden!« - Unser letzter Tag ist der Stadt Perge in der antiken Provinz Pamphylien gewidmet, ca. 16 Kilometer von Antalya entfernt. Schon 3000 vor Christi war hier eine großartige Einkaufsstraße angelegt worden. Eine Vollrohrleitung brachte Wasser vom Taurusgebirge bis hinunter in die Stadt. Ein herrlicher Wassergarten verschaffte den Menschen eine angenehme, heute würden wir sagen: kurortähnliche Atmosphäre. Zeitgleich schabten die Germanen ihre Felle noch in Höhlen.

Nach so viel Kultur und Natur landen wir nicht weit von Perge in einem Juweliergeschäft wieder auf beiden Füßen. Mehrere unserer Mitreisenden wussten bereits von einer früheren Reise, was uns erwartet: Gold, Silber, Schmuck vom Feinsten - und Anschauen alleine reicht nicht. Nach einer knappen Einführung über die Leistungen türkischer Goldschmiede haben wir eine Legion Verkäufer um uns herum, die auch das geringste Interesse an einem Schmuckstück zu einem ziemlich drängenden Verkaufsgespräch nutzen.

Soviel Aufmerksamkeit möchte kein Schwabe. Wir sind es gewohnt, dass wir uns selbst bedienen oder unseren Verkäufer im Schuhgeschäft eigenhändig niederringen. Und wir möchten auch mit einem »Nein« akzeptiert werden. Das ist allerdings das einzige Wort, dass unsere Gastgeber nicht verstehen. Sie überrumpeln uns mit ihrem Eifer im vordersten Glied der Provisionkette. Selbst unser Reiseleiter, dem wir trotz der mentalen Unterschiede inzwischen ans Herz gewachsen sind, ist peinlich berührt. Er erträgt es, weil es zu seinem Job gehört. Andererseits weiß er auch, dass uns noch Schlimmeres bevorsteht: Ledermoden.


Teppichknüpferei in Ürgup.

Teppichknüpferei in Ürgup.

Ballonstart frühmorgens in Göreme.

Ballonstart frühmorgens in Göreme.

 

»Alice«-Lederwaren empfängt uns freundlich, aufmerksam und präsentiert uns in einer Modenschau edelst verarbeitetes Leder. Jacken, Hosen, Mäntel, Taschen ... Schicker kann man als Lamm nicht enden.

Kaum jemand kann die Preise und Qualitäten wirklich einschätzen. Niemand von uns ist darauf vorbereitet. Nach der Show werden wir in einen Verkaufsraum geführt. Wir müssen zu den Auslagen mehrere Stufen hinunterabschreiten. Hinter uns fällt eine Tür gespenstisch ins Schloss. Auf dieser Seite der Tür steht: »No Exit!«, und es fühlt sich an wie »Es gibt kein Zurück, Fremder!« Unten im Raum haben sich die Verkäuferinnen und Verkäufer bereits warm gelaufen. Sie sind absolut davon überzeugt, dass wir uns diese Moden auf keinen Fall entgehen lassen werden.

Tun wir aber doch, auch wenn mit jedem Schritt auf der Treppe Bewegung in die Verkäufer/innen-Schar kommt, wie bei Fischen im Aquarium, wenn man die Futterdose schüttelt. Es gibt kein Entrinnen. Auf jeden möglichen Käufer kommt mindestens ein Verkäufer, und der will, was die Nähte halten, Umsatz machen. Jede Sekunde zu lang an einem Objekt scheint eine Unterschrift unter einen Kaufvertrag zu provozieren, der mehr kosten wird als der gesamte Aufenthalt bisher.

Also schaue ich desinteressiert, so wie ein Kellner bei: »Nicht mein Tisch!«. Diesen primitiven Trick haben die exschwäbischen Kürschner längst durchschaut. Sie kontern mit: »Ihre Frau würde sich doch sicher über ein Jäckchen freuen ...« So verheiratet sehe ich also schon aus!

Ich versuche, ab jetzt etwas verkniffen zu schauen: »Wo ist das Klo?« Auf dem Flur von der Modenschau zum Verkaufsraum gab es das erlösende Schild noch. »No Exit!« - der Eingang ist geschlossen und bleibt es auch. Irgendwann ärgert mich das, und ich finde eine Tür, auf der vermutlich etwas wie »Nur für Mitarbeiter.« steht. Auch Mitarbeiter werden schließlich mal müssen dürfen. Von dort schaffe ich es dann unbehelligt zum Mitarbeitereingang auf der Rückseite von »Alice«.

Vorne auf dem Parkplatz kommen schon die nächsten Busse des deutschen Reisedienstes ...

Basar entlang der Handelsstraßen heute.

Basar entlang der Handelsstraßen heute.

Marktstraße im Perge vor 3000 Jahren.

Marktstraße im Perge vor 3000 Jahren.

 

Und die Moral von der Geschichte?

Für 129 Euro wäre nicht einmal die Anreise kostendeckend. Flug, Übernachtung in guten bis sehr guten Hotels, Essen und Trinken, eine informierte Reiseleitung, die wirklich etwas für unsere Bildung und das interkulturelle Miteinander tut - das alles wäre selbst für 200 Euro pro Tag ein Schnäppchen gewesen. Die Reisen sind so günstig, weil die Unternehmen sie unterstützen: Knüpfereien, Juweliere, Modeunternehmen, Hotels ...

Für mich war die Türkei eine Dienstreise, wie viele zuvor. Wir haben bereits Teppiche, Jacken und den Schmuck, der uns gefällt. Die Geschäfte laufen mal so, mal so. Die Ballonfahrt in Kappadokien steht deshalb für ein anderes Mal auf dem Programm. Ich »arbeite« auf meine Weise einen Teil meiner Gegengabe für zehn Tage Gastfreundschaft ab. Der Kulturteil war wunderschön und unsere Reisebegleitung wirklich großartig. Der Verkaufsteil hatte etwas von einer Butterfahrt auf gehobenem Niveau.

Rein privat hätte ich ein schlechtes Gewissen gehabt, weil ich vor Ort mehr empfangen als gegeben habe. Reisen, so finde ich, sollte kostendeckend sein - für die Reisenden und die Bereisten. Mein Tipp: Was am Reisepreis gespart wird, sollte man im Land auszugeben bereit sein. Egal, ob der Souvenirverkäufer am Eingang der unterirdischen Städte damit beschenkt wird oder »Alice« im Lederland.

»Gün eden!«, heißt es am nächsten Morgen kurz vor vier Uhr zum letzten Mal. Wir waren provisionsmäßig diese acht Tage sicher keine guten Gäste. Aber wir waren ehrliche und herzliche Schwaben. Und vielleicht war auch das ein kleiner Beitrag zu einer wirklichen Begegnung.


Bilder und Text: Peter Kensok, Globalscout



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